„Der Mann da, das ist mein Opa“, sagt Prof. Dr. Karsten Nebe, der Leiter des FabLab Kamp-Lintfort, und zeigt auf ein schwarz-weiß Foto an der Leinwand. „Wenn mich jemand fragt ‚Was ist ein Maker?‘, dann fällt mir sofort mein Opa ein. Der hat mir alles beigebracht und immer einfach gemacht.“
Spätestens jetzt wissen alle Besucherinnen und Besucher des Innovationsforum HelpCamps, worum es in den nächsten beiden Tagen geht: Den Mut haben, einfach mal zu machen und dabei immer wieder von Anderen zu lernen. Auf den über 600 m² des FabLab Kamp-Lintfort ist das gar nicht schwer. Beim Anblick der vielen verschiedenen 3D-Drucker, Fräsmaschinen, Computer und Werkzeuge kribbelt es einem in den Fingern, endlich kreativ zu werden und eigene Ideen umzusetzen.
Wo sind die Grenzen, wenn ich ‚Einfach mal mache‘? Wie weit kann ich gehen?
Bevor es ins FabLab geht, zeigt Dr. Christina Czeschik mit ihrem Vortrag zu „Cyborgs & Patient Empowerment“, dass es egal ist, wie verrückt diese Idee auch sein mag ─ es wird immer jemanden geben, der noch verrücktere Pläne hat. Die Ärztin für Medizinische Informatik berichtet eindrucksvoll davon, wie Wissenschaftler sich Mini-Computer in den Schädel implantieren lassen, um mit Hilfe von Technologie Sehstörungen zu beheben und dass manche Patienten, die sich zugleich als Maker sehen, am Medizinrecht scheitern ─ beispielsweise, wenn es darum geht, das eigene Cochlea-Implantat oder einen Herzschrittmacher zu modifizieren.
Die Besucherinnen und Besucher des Innovationsforum HelpCamps lauschen gebannt den Vorträgen. Foto: HelpCamps
Es hinterlässt schon ein etwas mulmiges Gefühl, so direkt zu erfahren, wie schnell und einfach man mit dem nötigen Wissen und der richtigen Technologie den menschlichen Körper beeinflussen kann ─ aber das Team des inklusiven Makerspaces SELFMADE in Dortmund wischt diese Zweifel schnell beiseite mit einigen Beispielen, wie der 3D-Druck den Mitarbeitern des Büros für unterstützte Kommunikation den Arbeitsalltag erleichtert. Vielversprechend sind auch die Pläne des Teams, für andere Makerspaces und FabLabs zukünftig ein Vorbild zu sein in Sachen Barrierefreiheit.
Konzipieren – fertigen – testen – verwerfen ─ und wieder von vorn
Spätestens als Nils Beinke von Makers Help Care seinen „Knopf für alles“, einen elektronischen Taster aus dem 3D-Drucker präsentiert, indem er ein Spielzeughuhn auf knopfdruck singen, gackern und sogar ein Ei legen lässt, ist die Stimmung ausgelassen. Die Anwesenden können es kaum erwarten, in den folgenden Workshops selbst aktiv zu werden.
Es dauert nicht lange, bis die Luft im FabLab nach Lötzinn riecht, die ersten 3D-Drucker surren und man immer wieder leise Flüche gefolgt von lauten Jubelrufen hört. Nach knapp zwei Stunden Tüftelei funktionieren die selbstgebauten Taster und schicken einen Plüschhund durch das FabLab. Auch das Huhn schlägt wieder mit den Flügeln.
Beim Open°Lights Bau Workshop von be able e.V. blinken die LED-Leisten für den Rollator oder Rollstuhl endlich in allen Farben des Regenbogens, nachdem die Kabelverbindungen auf der schmalen Platine einige Male neu verlötet werden mussten. Bei den beiden Workshops zu 3D-Scanning und 3D-Modelling sitzen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einem Grinsen im Gesicht am Tisch. Geschafft! Wir sind definitiv gewappnet für den Hackathon.
So viele Herausforderungen ─ so viele Lösungen!
Studentin Aida, Cinderella Glücklich und Prof. Dr. William M Megill diskutieren fieberhaft über eine Lösung für ein platzsparendes und barrierefrei zugängliches Küchenregal, dabei fliegen die Filzstifte übers Papier. Es entsteht eine Skizze nach der anderen. Vorbild ihrer Überlegungen für barrierefreies Kochen ist das „London Eye“, das imposante Riesenrad der englischen Großstadt mit seinen dunkelblauen Gondeln. Der Mechanismus ist gut, aber eine runde Konstruktion nimmt eindeutig zu viel Platz ein. Die Lösung bringt ein Paternoster. Das Team hängt also viele Körbe an eine oval rotierende Kette oder ein Band, das man mit einer Kurbel oder auf Knopfdruck aktivieren kann, und schon fahren Teller, Besteck und Gläser auf Augenhöhe vorbei. Das, was man gerade braucht, kann man dann aus dem entsprechenden Korb herausnehmen oder man lässt die Konstruktion noch eine „Gondel“ weiter fahren.
Die Open°Lights, LED-Lichter für den Rollstuhl oder Rollator, leuchten in vielen Farben. Foto: HelpCamps
Nils Beinke vertritt das HelpCamps-Entwicklungsteam „Zocken mit Behinderung“ und gibt der Halterung für eine Augensteuerung im 3D-Konstruktionsprogramm den letzten Schliff, bevor er den Auftrag an einen der 3D-Drucker im FabLab schickt. Wie wird das Resultat wohl aussehen? Wir werden es an Tag 2 des Innovationsforum HelpCamps erfahren. Bis der Drucker fertig ist, schließt sich Nils der Gruppe an, die eine barrierefreie Online-Plattform entwickelt, auf der sich Maker und Menschen mit Beeinträchtigung in Zukunft vernetzen können. Auch hier entsteht eine Skizze nach der anderen, man beratschlagt, wie Maker und Mensch mit Beeinträchtigung sich am besten finden sollen. Es wirkt, als wollten die Beteiligten den großen Online-Dating-Plattformen den Kampf ansagen.
Das Team „Handprothese to go“ ist ebenfalls nicht zu bremsen. Es ist fast wie bei einer Modenschau, denn Teilnehmerin Chantal sitzt auf einem Stuhl, hebt die Arme und Lars Thalmann von e-NABLE Germany e.V. sowie Amélie Cayré von be able e.V. wuseln geschäftig um sie herum ─ allerdings nicht mit Glätteisen und Haarspray, sondern mit einem 3D-Scanner und einem Zollstock. Chantals Armstümpfe werden vermessen und genau begutachtet, um eine passende Prothese für sie zu fertigen.
Wäre da nicht die Müdigkeit gewesen (und der Hausmeister des Hochschulcampus, der auch mal ins Bett wollte), die einzelnen Teams hätten sicherlich bis in die frühen Morgenstunden weiter an ihren Plänen gearbeitet. So klang der erste Tag auf dem Campus nach getaner Arbeit mit Pizza und Getränken aus und auf dem Heimweg wurden die ersten Aufgaben für Teil 2 des Hackathons auf dem Innovationsforum HelpCamps verteilt.